vom 27.06.2010 | t-online.de Gleich ist der Ball hinter der Linie. Doch der Treffer wird nicht gegeben. (Foto: dpa)
Frank Lampard zieht ab, der Ball klatscht an die Latte und tropft hinter die Linie. Tor für England, 2:2. Das WM-Achtelfinale gegen Deutschland beginnt nach 38 Minuten quasi von vorn. So hätte es sein müssen. War es aber nicht. Das Schiedsrichter-Gespann aus Uruguay dürfte zu den Wenigen im Stadion gehört haben, die nicht gesehen haben, dass die Kugel im Tor war. Und viele Menschen dürfte ein Gedanke durchzuckt haben: Wembley! Knapp 44 Jahre nach dem bis heute umstrittensten Tor der Fußball-Geschichte war es diesmal genau andersrum: Damals war der Ball - zu 99 Prozent - nicht drin, aber es wurde auf Tor entschieden. 2010 war er zu 100 Prozent drin, doch der Treffer zählte nicht. (Klicken Sie sich durch die Bilder zum nicht gegebenen Tor von Frank Lampard).
Am 30. Juli 1966 hatte Geoff Hurst im WM-Finale von Wembley in der Verlängerung das 3:2 für England erzielt. Hurst überwand Torhüter Hans Tilkowski aus kurzer Distanz, der Ball prallte von der Latte auf den Rasen und wurde von Wolfgang Weber über die Latte ins Aus geköpft. Der Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst entschied nach Rücksprache mit dem sowjetischen Linienrichter Tofik Bachramow auf Tor. WM 2010
Presse geht mit dem Schiedsrichter hart ins Gericht
Die Geschehnisse vor 44 Jahren interessierte die englische Presse nach dem Spiel verständlicherweise wenig. Zielscheibe der Kritik war Jorge Larrionda aus Uruguay. "Du bist ein nutzloser Referee", titelte das Boulevardblatt "The Sun" online. "England wird von Deutschland bei der WM gedemütigt (mit viel Hilfe vom Schiedsrichter aus Uruguay)", klagte die "Daily Mail". Der "Mirror" vermeldete erschüttert: "England kracht raus. Three Lions von Deutschland gemüllert - und vom Referee." Allerdings gingen auch einige Zeitungen mit der eigenen Mannschaft hart ins Gericht: "Ein trostloses England erleidet WM-Herzschmerz", befand der "Independent". Der "Guardian" machte die "schreckliche Schwäche der englischen Verteidigung" für die Schlappe verantwortlich. "Es war so schlecht", stöhnte auch Ex-Nationalspieler Alan Shearer in der BBC.
Trainer Fabio Capello nahm seine Mannschaft in Schutz und meckerte ebenfalls gegen Larrionda. "Wir haben Fehler gemacht, aber der Schiedsrichter hat den größten Fehler gemacht. Das darf nicht passieren", zürnte er. "Das ist ein unverzeihlicher Fehler. Das muss der Assistent sehen. Das war kein Wembley-Tor, der Ball war ganz klar hinter der Linie", sagte der frühere Schiedsrichter Hellmut Krug in der ARD. Schlecht postiert war Schiedsrichter-Assistent Mauricio Espinosa, der beim Schuss über 15 Meter von der Grundlinie entfernt stand und deswegen einen schlechten Blick hatte. Er signalisierte dem Schiedsrichter "Weiterspielen." Sport
Hunderttausende feiern auf WM-Partys den Sieg gegen den großen Rivalen aus England. zum Video
Capello: "Zeit für einen Wandel"
Capello sprach danach aus, was viele Experten schon seit langer Zeit fordern: "Es wird technologisch Zeit für einen Wandel." Gemeint sind technische Hilfsmittel bei solch kritischen Entscheidungen. Die heftigen Diskussionen um den vom Weltverband FIFA zuletzt wieder verweigerten Einsatz dieser oder die Unterstützung der Referees durch zwei Torrichter werden nun wieder richtig losgehen. Diese Variante wird von der Europäischen Fußball-Union (UEFA) forciert. In der kommenden Saison werden zwei zusätzliche Torrichter in der Champions League und in der Europa League sowie in den Spielen der EM-Qualifikation von der UEFA eingesetzt.
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