Vor rund einem Monat ist der erste Teil unserer Serie erschienen. Seitdem erreichen uns immer wieder Mails von Menschen, die sich ebenfalls intensiv mit der Reform des Nachwuchsfußballs und der Welt der Kinder beschäftigen. Es sind Trainer dabei, die die neuen Spielformen mit kleineren Teams, kleineren Feldern und kleineren Toren mehrheitlich für sinnvoll halten. Da sind Jugendleiter, die nicht wissen, wie sie alles organisieren sollen. Es sind Fußballschulen darunter, die hoffen, dass wir über sie berichten. Und dann sind da die Eltern, die uns schildern, wie ihre Kids die neuen Wettbewerbe mit Turnieren am Wochenende statt Ligen finden. Hier sind nicht alle happy.
in Stichwort, das immer wieder auftaucht, ist: Wettkampf. Viele Kinder suchen ihn, lieben ihn. Katarina Witt, die Eiskunstlauf-Olympiasiegerin von 1984 und 1988, hat es schön zusammengefasst, als sie kürzlich sagte: "Ich finde, Wettkampf gehört zur Natürlichkeit des Kindes dazu. Man ist da ja eh im ständigen Wettstreit: Wer ist schneller angezogen? Wer ist schneller am Bus? Ich bin ganz froh, dass ich damit aufgewachsen bin." Negativbeispiel Bundesjugendspiele?
Ein Statement, an dem nichts auszusetzen ist. Oder? Witt sprach das jedoch in einem rbb-Talk an, weil sie weiß, dass dies längst nicht mehr alle Erwachsenen so sehen. Gerade viele Eltern heutzutage sehen Wettkämpfe kritisch. Sie möchten ihren Kindern jede Niederlage ersparen, vor allem Niederlagen, die sie selbst früher als Demütigungen empfunden haben. Diese Eltern kommen selten aus dem Sport und mochten ihn noch nie, sie sitzen bemerkenswert oft in Elternbeiräten von Kindergärten und Schulen, um Einfluss zu nehmen auf das, was dort passiert und was nicht. Sie sind gerne auch Kolumnisten oder Politiker. Besonders reinsteigern können sie sich beim nächsten Stichwort, das noch häufiger fällt als das Drei-gegen-drei im Kinderfußball: Bundesjugendspiele.
Die meisten von uns erinnern sich: Einmal im Jahr hieß es weg mit den Büchern und raus zum Werfen, Rennen, Springen. Für die Besten gab es eine Ehrenurkunde, für die Guten eine Siegerurkunde, die Schwächeren gingen leer aus oder erhielten eine Teilnehmerurkunde. Für viele Kids, für die Mathe und Deutsch der Horror ist, war dies neben dem Wandertag das mit Abstand beste Event des Schuljahres. Für die, die Sport hassen, das schlimmste. Ebendiese setzen sich seit einiger Zeit jetzt, wo sie erwachsen sind, für eine Abschaffung der Bundesjugendspiele ein. Da ist aus einer Eltern-Bewegung ein Zeitgeist entstanden: ein Kampf um den Wettkampf.
Und da viele Lehrer, Schulleiter und Politiker diesem Lager angehören, beschloss die Kultusministerkonferenz 2021, dass die Bundesjugendspiele ab 2023/2024 nur noch als "bewegungsorientierter Wettbewerb" ausgetragen werden sollen, nicht mehr als "leistungsorientierter Wettkampf". Es wird ein Weitsprung nun nicht mehr zentimetergenau vermessen, damit Konstantin, das Mathe-Ass, sich nicht ärgern muss, wenn er kürzer gehüpft ist als Leon, der Super-Sportler. Beide springen nun in Zonen, wo ein Drei-Meter-Sprung genauso viel wert ist wie einer über 3,40 Meter. Das wäre in etwa so, als würde Leon, wenn er in Mathe die Aufgabe 34+6 mit 42 löst, keinen Fehler angestrichen bekommen, sondern den Punkt kriegen, weil sich seine Lösung "in der richtigen Zone" befand. Busemann: "Wenn man gut ist, muss man das nicht verstecken"
Wo genau die Vorteile liegen, wurde beiden Lagern noch nicht vermittelt, weshalb die sportbegeisterten Eltern den Kopf schütteln und die sportkritischen weiter für eine Abschaffung plädieren. Frank Busemann, Zehnkampf-Silber-Held bei Olympia 1996, sieht ein "riesiges gesellschaftliches Dilemma". Er sagte "focus online": "Wir sind dabei, Leistung abzuschaffen! Wir nehmen immer darauf Rücksicht, dass das schwächste Glied in der Gruppe gut dasteht. Wer außergewöhnliche Leistung bringt, muss außergewöhnlich belohnt werden. Und das ist okay. Wenn man gut ist, muss man das nicht verstecken."
Kritisiert die Abschaffung des Wettkampfes im Jugendsport scharf: Frank Busemann. FUNKE Foto Services
In einer Welt, in der es keine Verlierer mehr geben darf, verschwinden auch die Gewinner. Ein Krampf, sogar auf Vereins-Ebene: In der neuen "Kinder-Leichtathletik" gibt es vielerorts bis zwölf Jahren keine Kreismeister mehr, weil nicht mehr 50 Meter Jeder-gegen-jeden gesprintet wird. Heute gibt es Festivals, in denen die Jüngsten in Staffeln über Umzugskartons hüpfen. Am Ende gewinnt nur ein Team, nicht mehr der Einzelne, und damit verliert auch keiner mehr alleine.
Diese Tendenzen sind wiederum auch im Kinderfußball zu beobachten. Seit einigen Jahren wächst hier der Trend, gerade bei den Hallenturnieren im Winter, dass jedes Kind einen Pokal erhält: die Mannschaft auf dem ersten Platz genau wie die auf dem letzten. Keiner soll traurig sein! Alle Eltern jubeln stolz! Wer Kinder trainiert, der weiß: Die Kids verstehen das am wenigsten.
Schon im Wort Siegerehrung steckt der Begriff Ehre, den gibt es seit Jahrhunderten. Wer gewinnt, erhält zur Ehre einen Pokal oder die Goldmedaille. Wer nicht gewonnen hat, kommt am Dienstag ins Training und versucht, besser zu werden, damit er irgendwann auch einen Pokal oder eine Goldmedaille bekommt. Ein simples und logisches Prinzip, das den Trainern bei ihrer Arbeit mehr hilft als schadet, und die Kindern lehrt: Verlieren ist nicht schlimm. Wer etwas holen will, muss fleißig dafür arbeiten.
Die Alternative zur Pokale-für-alle-Bewegung ist bei Verbands-Turnieren genauso oft zu sehen: Dort gibt es gar keine Siegerehrungen mehr. Es wird gespielt, es wird abgepfiffen, es geht nach Hause. Die Gewinner verlassen verdutzt den Platz und fragen sich, warum ihre Leistung nicht belohnt oder gefeiert wird. Das ist dann so, als gäbe es nach Mathe-Tests keine Noten mehr. Würde Konstantin und seinen Eltern sicher auch nicht gefallen. Kinder sollen lernen, mit Niederlagen umzugehen
Die Protagonisten der Kinderfußball-Reformen positionieren sich klar. "Wir wollen den Wettkampf. Wir wollen Sieger. Wir wollen, dass Kinder lernen, auch mit Niederlagen umzugehen", sagt Hannes Wolf, der neue Direktor für Nachwuchs, Training und Entwicklung beim DFB. Er hat neulich mal gegoogelt, was es mit den neuen Bundesjugendspielen auf sich hat. Als Vater von zwei Töchtern ist das auch für ihn spannend. "Nur leider", gibt er zu, "habe ich nichts Konkretes gefunden, was schade ist." Matthias Lochmann, der Professor an der Uni Erlangen-Nürnberg, der vor Jahren aus der Trainingsform Funino ein Wettkampfmodell gemacht hat, betont: "Wir wollen den maximalen Wettkampf, auf Augenhöhe, jedes Wochenende." Nur fair soll dieser sein, und deshalb schlägt er vor, bei der Organisation genau hinzuschauen: "Wenn du am ersten Wochenende in einer Region acht Festivals spielst, schreibe die Tabellen auf und hole am nächsten Wochenende die acht Sieger zum zweiten Festival hier zusammen, die acht Zweiten dort und die acht Letzten woanders. Wir müssen dahin kommen, dass gleichstarke Mannschaften aufeinandertreffen und wir einen fairen Wettbewerb haben."
Ralf Klohr, der Erfinder der Fair-Play-Liga, in der 2013 auf Initiative eines Landesverbandes erstmals die Tabellen bei den Jüngsten gestrichen wurden, betont: "Die Abschaffung von Ergebnissen und Tabellen waren nicht im Konzept vorgesehen! Die Kinder spielen ja auch, um zu gewinnen." Siege und Niederlagen verschwinden nicht
In der Welt des Drei-gegen-drei sollen Sieger gewürdigt werden. "Natürlich!", sagt Wolf. "Unbedingt!", findet Lochmann. "Kein Problem!", meint Klohr. Hier schließt sich dann spät doch noch der Kreis zu dem, was Ralf Rangnick, Hans-Joachim Watzke und Steffen Baumgart kritisiert haben, als sie den neuen Kinderfußball zerlegten.
in Stichwort, das immer wieder auftaucht, ist: Wettkampf. Viele Kinder suchen ihn, lieben ihn. Katarina Witt, die Eiskunstlauf-Olympiasiegerin von 1984 und 1988, hat es schön zusammengefasst, als sie kürzlich sagte: "Ich finde, Wettkampf gehört zur Natürlichkeit des Kindes dazu. Man ist da ja eh im ständigen Wettstreit: Wer ist schneller angezogen? Wer ist schneller am Bus? Ich bin ganz froh, dass ich damit aufgewachsen bin." Negativbeispiel Bundesjugendspiele?
Ein Statement, an dem nichts auszusetzen ist. Oder? Witt sprach das jedoch in einem rbb-Talk an, weil sie weiß, dass dies längst nicht mehr alle Erwachsenen so sehen. Gerade viele Eltern heutzutage sehen Wettkämpfe kritisch. Sie möchten ihren Kindern jede Niederlage ersparen, vor allem Niederlagen, die sie selbst früher als Demütigungen empfunden haben. Diese Eltern kommen selten aus dem Sport und mochten ihn noch nie, sie sitzen bemerkenswert oft in Elternbeiräten von Kindergärten und Schulen, um Einfluss zu nehmen auf das, was dort passiert und was nicht. Sie sind gerne auch Kolumnisten oder Politiker. Besonders reinsteigern können sie sich beim nächsten Stichwort, das noch häufiger fällt als das Drei-gegen-drei im Kinderfußball: Bundesjugendspiele.
Die meisten von uns erinnern sich: Einmal im Jahr hieß es weg mit den Büchern und raus zum Werfen, Rennen, Springen. Für die Besten gab es eine Ehrenurkunde, für die Guten eine Siegerurkunde, die Schwächeren gingen leer aus oder erhielten eine Teilnehmerurkunde. Für viele Kids, für die Mathe und Deutsch der Horror ist, war dies neben dem Wandertag das mit Abstand beste Event des Schuljahres. Für die, die Sport hassen, das schlimmste. Ebendiese setzen sich seit einiger Zeit jetzt, wo sie erwachsen sind, für eine Abschaffung der Bundesjugendspiele ein. Da ist aus einer Eltern-Bewegung ein Zeitgeist entstanden: ein Kampf um den Wettkampf.
Und da viele Lehrer, Schulleiter und Politiker diesem Lager angehören, beschloss die Kultusministerkonferenz 2021, dass die Bundesjugendspiele ab 2023/2024 nur noch als "bewegungsorientierter Wettbewerb" ausgetragen werden sollen, nicht mehr als "leistungsorientierter Wettkampf". Es wird ein Weitsprung nun nicht mehr zentimetergenau vermessen, damit Konstantin, das Mathe-Ass, sich nicht ärgern muss, wenn er kürzer gehüpft ist als Leon, der Super-Sportler. Beide springen nun in Zonen, wo ein Drei-Meter-Sprung genauso viel wert ist wie einer über 3,40 Meter. Das wäre in etwa so, als würde Leon, wenn er in Mathe die Aufgabe 34+6 mit 42 löst, keinen Fehler angestrichen bekommen, sondern den Punkt kriegen, weil sich seine Lösung "in der richtigen Zone" befand. Busemann: "Wenn man gut ist, muss man das nicht verstecken"
Wo genau die Vorteile liegen, wurde beiden Lagern noch nicht vermittelt, weshalb die sportbegeisterten Eltern den Kopf schütteln und die sportkritischen weiter für eine Abschaffung plädieren. Frank Busemann, Zehnkampf-Silber-Held bei Olympia 1996, sieht ein "riesiges gesellschaftliches Dilemma". Er sagte "focus online": "Wir sind dabei, Leistung abzuschaffen! Wir nehmen immer darauf Rücksicht, dass das schwächste Glied in der Gruppe gut dasteht. Wer außergewöhnliche Leistung bringt, muss außergewöhnlich belohnt werden. Und das ist okay. Wenn man gut ist, muss man das nicht verstecken."
Kritisiert die Abschaffung des Wettkampfes im Jugendsport scharf: Frank Busemann. FUNKE Foto Services
In einer Welt, in der es keine Verlierer mehr geben darf, verschwinden auch die Gewinner. Ein Krampf, sogar auf Vereins-Ebene: In der neuen "Kinder-Leichtathletik" gibt es vielerorts bis zwölf Jahren keine Kreismeister mehr, weil nicht mehr 50 Meter Jeder-gegen-jeden gesprintet wird. Heute gibt es Festivals, in denen die Jüngsten in Staffeln über Umzugskartons hüpfen. Am Ende gewinnt nur ein Team, nicht mehr der Einzelne, und damit verliert auch keiner mehr alleine.
Diese Tendenzen sind wiederum auch im Kinderfußball zu beobachten. Seit einigen Jahren wächst hier der Trend, gerade bei den Hallenturnieren im Winter, dass jedes Kind einen Pokal erhält: die Mannschaft auf dem ersten Platz genau wie die auf dem letzten. Keiner soll traurig sein! Alle Eltern jubeln stolz! Wer Kinder trainiert, der weiß: Die Kids verstehen das am wenigsten.
Schon im Wort Siegerehrung steckt der Begriff Ehre, den gibt es seit Jahrhunderten. Wer gewinnt, erhält zur Ehre einen Pokal oder die Goldmedaille. Wer nicht gewonnen hat, kommt am Dienstag ins Training und versucht, besser zu werden, damit er irgendwann auch einen Pokal oder eine Goldmedaille bekommt. Ein simples und logisches Prinzip, das den Trainern bei ihrer Arbeit mehr hilft als schadet, und die Kindern lehrt: Verlieren ist nicht schlimm. Wer etwas holen will, muss fleißig dafür arbeiten.
Die Alternative zur Pokale-für-alle-Bewegung ist bei Verbands-Turnieren genauso oft zu sehen: Dort gibt es gar keine Siegerehrungen mehr. Es wird gespielt, es wird abgepfiffen, es geht nach Hause. Die Gewinner verlassen verdutzt den Platz und fragen sich, warum ihre Leistung nicht belohnt oder gefeiert wird. Das ist dann so, als gäbe es nach Mathe-Tests keine Noten mehr. Würde Konstantin und seinen Eltern sicher auch nicht gefallen. Kinder sollen lernen, mit Niederlagen umzugehen
Die Protagonisten der Kinderfußball-Reformen positionieren sich klar. "Wir wollen den Wettkampf. Wir wollen Sieger. Wir wollen, dass Kinder lernen, auch mit Niederlagen umzugehen", sagt Hannes Wolf, der neue Direktor für Nachwuchs, Training und Entwicklung beim DFB. Er hat neulich mal gegoogelt, was es mit den neuen Bundesjugendspielen auf sich hat. Als Vater von zwei Töchtern ist das auch für ihn spannend. "Nur leider", gibt er zu, "habe ich nichts Konkretes gefunden, was schade ist." Matthias Lochmann, der Professor an der Uni Erlangen-Nürnberg, der vor Jahren aus der Trainingsform Funino ein Wettkampfmodell gemacht hat, betont: "Wir wollen den maximalen Wettkampf, auf Augenhöhe, jedes Wochenende." Nur fair soll dieser sein, und deshalb schlägt er vor, bei der Organisation genau hinzuschauen: "Wenn du am ersten Wochenende in einer Region acht Festivals spielst, schreibe die Tabellen auf und hole am nächsten Wochenende die acht Sieger zum zweiten Festival hier zusammen, die acht Zweiten dort und die acht Letzten woanders. Wir müssen dahin kommen, dass gleichstarke Mannschaften aufeinandertreffen und wir einen fairen Wettbewerb haben."
Ralf Klohr, der Erfinder der Fair-Play-Liga, in der 2013 auf Initiative eines Landesverbandes erstmals die Tabellen bei den Jüngsten gestrichen wurden, betont: "Die Abschaffung von Ergebnissen und Tabellen waren nicht im Konzept vorgesehen! Die Kinder spielen ja auch, um zu gewinnen." Siege und Niederlagen verschwinden nicht
In der Welt des Drei-gegen-drei sollen Sieger gewürdigt werden. "Natürlich!", sagt Wolf. "Unbedingt!", findet Lochmann. "Kein Problem!", meint Klohr. Hier schließt sich dann spät doch noch der Kreis zu dem, was Ralf Rangnick, Hans-Joachim Watzke und Steffen Baumgart kritisiert haben, als sie den neuen Kinderfußball zerlegten.
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